Sarah's
  Eine Geschichte ausm Inet
 

Wenn der Altersunterschied nicht gnadenlos wäre ..., aber es ist auch so eine Liebesgeschichte

Er schrieb mir eine Mail, ich hätte ihn beeindruckt. Das liest natürlich jeder gern, doch ich bin auch vorsichtig. Obwohl ich keine besonders öffentliche Person bin, erreichen mich häufiger Mails von Menschen, die in meiner Arbeit etwas finden, das in ihnen den Wunsch weckt, Kontakt zu mir aufzunehmen. Normalerweise wehre ich das höflich ab, denn in gewisser Weise bin ich einem Schauspieler ähnlich, der seine Mittel gezielt einsetzt, den man nicht mit seiner Rolle verwechseln darf oder nur teilweise.

Doch dieser Herr schrieb auffallend höflich, kurz und klar. Er sei ein einfacher Privatmann, ehemals leitender Angestellter in der Industrie. Er gab seine vollständige Adresse an und äußerste den Wunsch, mit mir zu sprechen.

Und weil es nun auch nicht so ist, dass ein Autor ganz ohne Lob und Echo leben kann, und mich irgendetwas in seinen Zeilen bewegte und schließlich, weil ich neugierig bin, griff ich zum Hörer und wählte seine Nummer.

Dass Rainer Kummerow über sechzig war, hörte man seiner Stimme an, ohne dass ich wirklich beziffern könnte, was eine Stimme älter macht. Seine war leicht heiser, leicht brüchig, vielleicht nicht mehr wirklich kräftig, in ihrer norddeutschen Färbung lag Bestimmtheit, Selbstbewusstsein, eine feine Wärme und viel Eleganz. Diese Stimme beschrieb eine kultivierte Persönlichkeit, die den Umgang mit Menschen beherrschte und in der Lage war, sich punktgenau auszudrücken.

Ich will hier nicht wiederholen, was er über mich sagte. Jedenfalls war es keine billige Schmeichelei. Manchmal atmete er etwas schwer.

Ich kannte nicht viele in diesem Alter, die überhaupt eine Mail-Adresse hatten, geschweige denn diese benutzten.

Von hier aus gesehen, fühle ich mir sehr arrogant, wenn ich daran denke, was meine erste Antwort war: Ich sei keine Projektionsfläche, sondern vollkommen anders, als er es sich zurecht träume, er möge sich bitte nicht in mich verlieben. Eitel genug war ich, um ihn auch noch schnippisch spüren zu lassen, dass er vom Internet keine Ahnung haben könne, wenn er nicht fähig war, meine Website aufzurufen, auf der er sich doch hätte über mich informieren können. Er schwieg dazu. Ich hörte, wie der Hörer leise zitterte. Erst gegen Ende des Gespräches fragte ich nach seinem Alter. Fünfundsiebzig sei er, lebe nach langer Ehe allein, weit weg von der Großstadt. Nun war ich die Beschämte, denn ich kannte nicht viele in diesem Alter, die überhaupt eine E-Mail-Adresse hatten, geschweige denn diese benutzen.

Es ist seltsam, mit einem 30 Jahre älteren Mann irgendwo in Deutschland zu telefonieren, von dem ich nur den Klang seiner Stimme höre, die in aller Höflichkeit und mit Nachdruck darauf besteht, ich sei eine Person, die er kennen zu lernen wünsche. Es entsteht Nähe, besonders wenn die Sonne schon untergegangen ist und einer so herzlich zuhört wie er und solche Fragen stellt. Und ich kippte ein paar meiner Sorgen über Rainer Kummerows Stimme aus. Und er sagte: „Sie werden noch glücklich werden“, und ich weiß nicht, wieso mich das so bewegte, besonders weil sein Hörer immer wieder so leise bebte.

Er würde es nicht gern haben, wenn ich zu viele Einzelheiten über ihn verbreiten würde, daher so ungenau: Er ist erst mit 70 in Rente gegangen, engagiert sich noch ehrenamtlich, hat ein erwachsenes Kind, und sieht sein Leben auf dem Land als Rückkehr zu seinen Wurzeln. Er spricht vier Sprachen fließend, pflegt seinen Freundeskreis, hilft den Bauern bei der Apfelernte, hat früher 70.000 Kilometer pro Jahr zurückgelegt, unternimmt keine weiten Reisen mehr, und als ich ihn fragte, ob er einsam sei, sagte er in einer ruhigen Art: „Ein bisschen“.

Er möge nicht aus dem Auge verlieren, dass ich nicht im Entferntesten daran dachte, mich in ihn zu verlieren.

Und er fragte, ob er mich einmal besuchen dürfe, und ich antwortete, dass er nicht wegen mir eine Reise antreten solle, doch wenn er einmal zufällig in der Stadt sei, würde ich ihn gerne kennen lernen wollen. Und er möge nicht aus dem Auge verlieren, dass ich nicht im Entferntesten daran dachte, mich in ihn zu verlieben.

Und dann legten wir auf, und ich ging ins Bett.

Und morgens fand ich, dass ich diesem Menschen wenigstens noch eine Mail schreiben muss, in der ich mich für meine Schnippigkeit entschuldigte. Und dass ich erfreut war, wenn ich an diese freundliche, kluge Stimme dachte, die von irgendwo außerhalb meiner Welt herkam. Und dass ich jegliche Einsamkeit bestens nachvollziehen konnte.

Jedenfalls standen Feiertage bevor, und ich hatte keine anderen Pläne, als die Ruhe dafür zu nutzen, etwas zu schreiben. Und als Rainer Kummerow mich auf dem Handy anrief, um sich für meine Mail zu bedanken, spazierte ich mit seiner Stimme am Ohr durch eine sonnige Straße zum Einkaufen. Er sagte: „Wenn das so ist, kann ich Sie doch besuchen.“

“Aber wir gehen nur essen, sonst nichts.”

Und weil ich für Abenteuer schon immer zu haben war, antwortete ich: „Kommen Sie gerne am Samstag. Aber wir gehen nur essen, sonst nichts.“ Ich dachte, es wären vielleicht zwei oder drei Fahrtstunden für ihn, oder er würde sich in einen Zug setzen. Ich wusste nicht, dass er um 8 Uhr aufbrechen würde, um fünf Stunden unterwegs zu sein, dass er höchsten 100 km/h fahren und einige Pausen machen würde.

Er klingelte pünktlich um eins, und ich konnte einen älteren Herrn schlecht vor der Haustür stehen lassen. Als ich ihm auf der Treppe entgegenlief, um ihm den Fahrstuhl aufzuschließen, sah ich von oben sein schütteres, weißes Haar und dass er mit dem Papier kämpfte, das einen Blumenstrauß umhüllte. Er überreichte ihn mir formvollendet, und ich wurde verlegen, denn es ist lange her, dass ein Mann mir Blumen gebracht hat.

Und dann stand er in meiner Wohnung, dieser fremde, alte Herr, groß, aufrecht, schlank, mit beweglichen, blauen Augen, in einem guten, karierten Jackett, nur sein Hemd war von der Reise zerknittert. Er war noch kein Greis, doch ihn umgab schon eine kaum benennbare Hinfälligkeit. Sofort begann er, sich umzusehen, es lag keine Aufdringlichkeit darin, sondern pures Interesse. Er nahm ein Magazin in die Hand, auf dem John F. Kennedy vor dem Schöneberger Rathaus abgebildet war, und sagte: „Das war ein bewegender Moment“, und für mich ist JFK nie etwas anderes als Geschichte gewesen. Er erzählte, dass er keine Spülmaschine habe, und wir rätselten gemeinsam, aus welchem Holz einer meiner Schränke sein mochte. Zu spät fiel mir ein, dass ein ziemlich großes Aktfoto von mir an der Wand lehnte, und dass sich das nicht gehörte.

Zum Thailänder konnte ich mit ihm nicht gehen, auch hatte er kein Interesse, sich ins Innere der Großstadt zu stürzen, so spazierten wir um die Ecke in ein feines, gutbürgerliches Restaurant, in dem die Bedienung noch rosige Gesichter trägt und Rüschenschürzchen. Herr Kummerow machte erstaunlich lange Schritte, es lag nur eine Spur Wackeligkeit darin.

Seine Witze waren wirklich witzig.

Er erzählte mir Geschichten aus seiner Lehrzeit, seinen ersten Auslandsaufenthalten und wie seine Karriere verlaufen war, und wirkte wie jemand, der auf ein kompetentes Leben zurück blicken kann, ein ehrenwerter Kaufmann, ein hanseatischer Gentleman uralter Schule. Er lachte leicht, und seine Witze waren wirklich witzig. Er rückte mir den Aschenbecher zurecht und machte mir Komplimente, jedes ein Schmuckstück, keins dabei, dass mir irgendwie zu nahe getreten wäre. Ich beugte mich vor und fragte: „Was wollen Sie eigentlich von mir“, und er gab sich sichtlich Mühe, so offen wie möglich zu antworten, doch er rückte nicht wirklich damit heraus. Die ganze Zeit hatte er die Übersicht über unser Gespräch. Ich langweilte mich kein bisschen.

Und während ich ihm so gegenüber saß, berührte mich immer mehr, wie liebenswürdig Rainer Kummerow sich um mich bemühte, dass er bei aller Haltung schon so klapprig war, und wie sehr sich sein Leben dem Ende zuneigte, und ich dachte doch immer, ich wäre schon so alt, und mein Respekt wuchs, dass er sich solche Eskapaden erlaubte, wie eine wildfremde Frau in der Großstadt zu besuchen, und ich wünschte mir heiß und innig, in seinem Alter noch ähnlich viel Mut zu haben und Neugier. Ich wusste auch, dass es eine Menge Sehnsucht braucht, um so weit zu fahren.

Ich dachte doch immer, ich wäre schon so alt.

Wir aßen noch einen Eisbecher mit heißen Himbeeren, dann verlangte er die Rechnung, und wir spazierten durch einen leichten Nieselregen zurück. Ich hakte ihn unter und spürte, dass er mir körperlich gern viel näher gekommen wäre. Zum Abschied nahm er meine Hände und sah mir in die Augen. Es lag nichts Unterwürfiges oder Klebriges oder Falsches darin, sondern Wärme, Würde und Zurückhaltung.

Und als er sich in seinen Mercedes setzte, begriff ich erst richtig, dass er früher tausend Kilometer auf einem offenen Jeep durch afrikanische Wüsten gerattert war, und nun wieder fünf Stunden brauchen würde, um nach Hause zu kommen, und dass er ein alter Mann war, dessen Hände einmal viel kräftiger gewesen waren. Ich sagte: „Sie sind ein witziger Klasse-Typ“, und er lächelte. Und als er abgefahren war, sah ich ihm nach und beobachtete, wie langsam und vorsichtig er um die Ecke steuerte und betete, dass er sicher heimkommen würde. Und ich stand noch eine Weile am Straßenrand, und dachte: Er hat Dir ein großes Kompliment gemacht, dieser feine, hochgewachsene, kurz vor der Gebrechlichkeit stehende Herr, der nicht aufhört, die Welt zu erobern.

Am Telefon sagte ich ihm später, dass es um mich geschehen gewesen wäre, würde unser Altersunterschied nicht so gnadenlos fest stehen. Und in gewisser Weise entfällt auch diese Bedingung. Mit seiner eleganten Stimme las er mir Goethes Reinecke Fuchs vor und lachte vor Begeisterung an den Versen, während der Hörer leise zitterte.nach oben

 
 
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